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Über den Autor und weitere Mitwirkende
Roland Barthes wurde am 12. November 1915 in Cherbourg geboren und starb am 26. März 1980 in Paris an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Er studierte klassische Literatur an der Sorbonne und war danach als Lehrer, Bibliothekar und Lektor in Ungarn, Rumänien und Ägypten tätig. Ab 1960 unterrichtete er an der École Pratique des Hautes Études in Paris. 1976 wurde er auf Vorschlag Michel Foucaults ans Collège de France auf den eigens geschaffenen Lehrstuhl »für literarische Zeichensysteme« berufen. In Essais critiques beschäftigt sich Barthes mit dem avantgardistischen Theater. Prägend für ihn waren unter anderem Brecht, Gide, Marx, de Saussure sowie Jacques Lacan. Zudem war Barthes ein musikbegeisterter Mensch, vor allem als Pianist und Komponist.
Produktinformation
Taschenbuch: 213 Seiten
Verlag: Suhrkamp Verlag; Auflage: 3 (24. März 1986)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3518281852
ISBN-13: 978-3518281857
Originaltitel: Sade Fourier Loyola
Größe und/oder Gewicht:
10,8 x 1 x 17,7 cm
Durchschnittliche Kundenbewertung:
5.0 von 5 Sternen
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Was haben der verfemte Schriftsteller Sade, der große Utopist Fourier und der heilige Jesuit Ignatius von Loyala gemeinsam? Warum stellt der französische Philosoph und strukturalistische Kulturtheoretiker Roland Barthes diese drei speziellen Exemplare in einem Buch zusammen? Alle drei haben zunächst einmal Texte geschrieben und obwohl sie inhaltlich divergieren (Sade glaubt an die Natur, Fourier an die Zukunft, Loyola an Gott) betrachtet sie Barthes als Logotheten, als Sprachbegründer, nicht in dem Sinne, dass sie eine linguistische Sprache, eine Kommunikationssprache begründen, sondern dass sie einen Text produzieren, und das es ihnen somit gelingt, "an die Stelle der Plattheit des Stils", "das Volumen des Schreibens zusetzen." Auch wenn diese drei aufgrund ihrer historischen Stellung in einer Ideologie der Darstellung und des Zeichens befangen sind, geht es bei ihnen nicht so sehr um den Stil, der als "Form" gedacht, eine "Konsistenz" hat. Schreiben bedeutet bei ihnen ein "Insistieren": "Und das tun unsere drei Klassifikatoren: wie man ihren Stil auch beurteilt, gut, schlecht oder neutral, ist gleichgültig. Sie insistieren, und bei diesem Betonen und Drängen machen sie nirgends halt. In dem Maße, wie der Stil im Schreiben aufgeht, wird das System zu einer Systematik (Fourier), der Roman zum Romanesken (Sade), das Gebet zum Phantasmatischen (Loyola): Sade ist kein Erotiker, Fourier kein Utopist und Loyola kein Heiliger mehr: von jedem bleibt nur noch ein Szenograph übrig, einer, der sich in den Streben, die er aufbaut und ins Unendliche fortführt, verliert."Barthes beschäftigt sich also nicht primär mit dem Inhalt der Texte von Sade, Fourier und Loyola, sondern er behandelt sie als Erfinder von Schreibweisen, als Formulierer und Textoperateure. Nur wenn man den Inhalt in den Hintergrund schiebt, kann man die Paralellen in ihrer Schreibweise ausmachen: "die gleiche Klassifizierungssucht, die gleiche Besessenheit des Zerlegens (den Körper Christi, den Körper der Opfer, die menschliche Seele), die gleiche Zählmanie (die Sünden, die Marter, die Leidenschaften werden gezählt und selbst die dabei auftretenden Zählfehler), die gleiche Praxis des Bildes (der Imitation, des Gemäldes, der Sitzung), der gleiche Zuschnitt des gesellschaftlichen, erotischen und phantasmatischen Systems."Und noch einen Vorteil hat die Verschiebung des Inhalts auf den zweiten Rang: Sie macht den Text zu einem Lustobjekt und sie entledigt Sade, Fourier und Loyola ihrer Bürgschaften (der Religion, der Utopie, des Sadismus): "Ich versuche, den moralischen Diskurs, der über sie gehalten wurde, zu zerstreuen oder einfach zu umgehen. Wenn ich, wie sie, nur die Sprachformen herausarbeite, löse ich den Text von seinem Garantieschein ab: vom Sozialismus, vom Glauben, vom Bösen." Diese Herangehensweise, diese Lust am Text ermöglicht es Barthes und dem Leser, mit den Autoren Sade und Fourier zu leben, ohne ihr Programm, das in ihren Büchern vorgezeichnet wird, auszuführen: "Es geht also nicht darum, das bereits Dargestellte nun wirklich auszuführen und mit Sade sadistisch oder orgiastisch, mit Fourier Mitglied des Phalanstére und mit Loyola ein Betenter zu werden. ...der Text soll nachgesprochen, nicht nachvollzogen werden."Schreiben heißt für Barthes überschreiten. Folgerichtig wendet sich Barthes deshalb Sade, Fourier und Loyola als Überschreiter der Sprache zu. Nun mag man sagen, dass diese Überschreitung (der Gesetze, die eine Gesellschaft, eine Ideologie und eine Philosophie gibt) wohl auf Sade und Fourier noch zutrifft, nur was hat dann hier der Jesuit und Verfasser der Exerzitien Loyola verloren? Da muss man den Kontext berücksichtigen: zu Beginn der Neuzeit, im Zeitalter Loyolas hat eine Veränderung der Hierarchie der fünf Sinne stattgefunden. Das ganze Mittelalter hindurch war das Gehör der feinste Sinne, der Wahrnehmungssinn par excellence. Der Primat des Gehörs, der noch im 16. Jahrhundert sehr lebendig war, war theologisch begründet: die Kirche gründet ihre Autorität auf das Wort, Glauben ist hören oder wie Luther es sagte, das Ohr ist das Organ des Christen. Dann aber findet eine Umkehrung statt: das Auge wird zum Hauptorgan der Wahrnehmung (dafür zeugt das Barock als Kunst des Gesehenen). Es kommt also zu einem Widerspruch zwischen der neuen, vom Gesicht bestimmten Wahrnehmung, und dem alten, auf das Gehör gegründeten Glauben: "Ignatius versuchte gerade, ihn zu reduzieren. Er will das Bild (oder die innere "Ansicht") orthodox begründen als neue Einheit der Sprache, die er konstruiert." Loyola wendet sich gegen das asketische und mystische Mißtrauen gegenüber dem Bild (das Bild hat, "so dachte man, etwas Barbarisches an sich und alles in allem etwas Natürliches, das es für jede disziplinierende Moral verdächtig macht.") und antwortet "mit dem radikalen Herrschaftsanspruch des Bildes: als Produkt einer angeleiteten Imagination ist das Bild die beständige Materie der Exerzitien: die Ansichten, Darstellungen, Allegorien und Mysterien (oder Anekdoten der Evangelien) werden ununterbrochen durch die imaginären Sinne hervorgerufen und sind damit die konstitutiven Einheiten der Meditation. ...Das Feld des Bildes als linguistisches System zu konstituieren heißt in der Tat, sich gegen die verdächtigen Randzonen der mystischen Erfahrung sichern: die Sprache ist der Garant des orthodoxen Glabens... Die Gliederung ist nun das, was Ignatius dem Bild bringt, sie ist der Weg, den er begeht, um ihm ein linguistisches Sein und damit eine Orthodoxie zu geben."Den größten Raum im Buch füllt Sade aus und es mit Abstand das Beste was ich bisher über Sade gelesen habe. Immer wieder werden die Schriften von Sade als monoton bezeichnet oder mit dem Verdikt des Unmoralischen und Pornographischen verboten. Man vergisst dass man es hier mit einem künstlerischen und literarischen Werk zu tun hat (Barthes spricht sogar an einer Stelle von einem Schelmenroman), aber selbst für diese simple Evidenz sind die meisten Sade-Leser völlig blind und all das, "weil man sich weigert, in Sades einzige Welt, die Welt des Diskurses, einzutreten. Und doch liefert uns Sade auf jeder Seite seines Werkes Beweise für einen beabsichtigten "Irrealismus": was in einem Roman von Sade vor sich geht, ist fabelhaft im wahrsten Sinne des Wortes, d.h. unmöglich; oder besser gesagt: die Unmöglichkeiten des Erzählten werden zu Möglichkeiten des Diskurses... Gerade das tut die Gesellschaft, die ihn verbietet, natürlich nicht. Sie lauscht in dem Werk Sades nur dem Erzählten, für sie ist das Wort nichts als ein Fenster zum Wirklichen."Barthes schließt in seinen skizzenhaften Ausführungen zu Sade mit dem "Prinzip des Zartgefühls" ab, und das bei einem Autor der für das Böse und Grausame schlechthin steht. Das Prinzip des Zartgefühls findet sich in einem Brief von Sade an seine Frau und Barthes kommentiert das folgendermaßen: "Sicher kann man Sade nach einem Konzept der Gewalt lesen. Man kann ihn jedoch auch (und das emphielt er uns) nach einem PRINZIP DES ZARTGEFÜHLS lesen. Das Sadesche Zartgefühl ist nicht das Produkt einer Klasse, das Attribut einer Zivilisation oder der Stil einer Kultur. Es ist die Kraft der Analyse und das Vermögen der Lust: Analyse und Lust vereinigen sich zugunsten einer unserer Gesellschaft unbekannten Exaltiertheit, die dadurch gerade die schönste aller Utopien darstellt. Die Gewalt aber folgt einem durch die Jahrtausende menschlicher Gewalt abgenutzten Code. Die Gewalt umkehren heißt dann immer noch denselben Code sprechen. Allein das von Sade postulierte PRINZIP DES ZARTGEFÜHLS kann, sobald die Grundfesten der Geschichte sich verändert haben, eine absolut neue Sprache konstituieren, die unerhörte Mutation, die dazu berufen ist, den Sinn der Lustempfindung subversiv zu werden (nicht umzudrehen, vielmehr zu fragmentieren, zu pluralisieren, aufzulösen)."Das Buch verspricht das, was Barthes in seiner Einleitung postulierte: die Lust am Text!
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